Auf den Spuren der Gutshäuser in Westlitauen
Ruhm und Verfall der Herrenhäuser - Die turbulente Geschichte von Kleinlitauen
Der Westen Litauens wird von mehreren Kulturen geprägt. Da das Gebiet historisch zwischen zwei politischen Einheiten – Preußen (später Deutsches Reich) und dem Großfürstentum Litauen (später Russisches Reich) – aufgeteilt war, hat der Begriff Gutshaus in diesen beiden historisch unterschiedlichen Teilen Litauens leicht unterschiedliche Konnotationen. Im preußischen Teil (historische Region Kleinlitauen) war ein Gutshaus das Herrenhaus eines reichen Gutsbesitzers, der seinen Reichtum durch die Bodenreform im Königreich Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt. Im Großherzogtum Litauen (historische Region Samogitien) war ein Gutshaus ein Landhaus des Landadels, das eine unreformierte Feudalgesellschaft repräsentierte und eine breite Palette von Gebäudetypen aufwies – von riesigen Adelspalästen bis zu bescheidenen Holzhäusern. Litauische Schlösser und Gutshöfe waren lange Zeit der Garant für das Militärwesen, die Wirtschaft und die Kultur unseres Landes. Die aufgeklärten Menschen, die in diesen Gebäuden lebten und schufen, halfen dem Land, seine Ziele zu erreichen, die Staatlichkeit zu erhalten und für ihre Familien und die Majestät des Landes zu kämpfen. Die Backsteinmauern eines jeden Schlosses oder Herrenhauses erzählen uns eine Legende. Man muss nur aufmerksam zuhören.
Klein Litauen - eine bewegte Geschichte
Reisetipps – lost places - auf den Spuren der Herrenhäuser
Die Adelspaläste in Palanga, Kretinga und Plungė sowie das Gutshaus der Familie Scheu in Šilutė (Heydekrug) werden als Museen genutzt, während die meisten kleinen Residenzen vernachlässigt werden und verfallen. Nur eines von ihnen (Vilkėnas) wird toruistische genutzt. Alle Gutshäuser und Schlösser sind wertvolle Kulturdenkmäler, die von der längst vergangenen Kultur des südbaltischen Landadels zeugen. Die Gutshäuser gehören in der Regel nicht mehr den Erben der ehemaligen Gutsherrenfamilien. Wenn keine neuen, privaten Eigentümer sich ihrer annehmen, prägt Verfall die Identität der Anwesen.
Die Preußische Vergangenheit in Litauen
Das Gut Matzicken, das Geburtshaus des deutschen Schriftstellers Hermann Sudermann (1857-1928), wurde 1939, nach der Annexion der Region Klaipeda durch Nazi-Deutschland, in ein Kriegsgefangenenlager umgewandelt, das bis zur sowjetischen Besatzung 1945 bestand, und diente dann bis 1955 als sowjetisches Konzentrationslager für deutsche Kriegsgefangene und politische Gefangene (GULAG-3).
Neben Lene Grigoleit gibt es viele weitere familiäre Verbindungen der Güter in Kleinlitauen zu Deutschland und der Güter in Samogitia (Schamaiten) mit Polen. Hermann Sudermann wurde in Macikai (Gut Matzicken) geboren. Heinrich Theodor von Schön (1773-1856), preußischer Staatsmann, Gouverneur der Provinz Preußen (West- und Ostpreußen), der an den liberalen Reformen während der Napoleonischen Kriege mitwirkte, wurde auf dem Gut Šereiklaukis (Schreitlaugken) geboren. Die Familie Plater, die Besitzer des Gutes Vilkėnas, ist mit Emilia Plater (1806-1831), der Heldin des Aufstandes gegen das Russische Reich in Polen und Litauen 1830-31, verwandt. Herzog Michał Kleofas Ogiński (1765-1833), ein bekannter Komponist der Romantik, war Besitzer des Gutes Rietavas. Die Gutsherren in Kleinlitauen sprachen Deutsch, während die Mehrheit der Gutsherren in Samogitien Polnisch sprach. Fast keiner von ihnen sprach Litauisch. Eine Ausnahme bildeten einige wenige Philanthropen wie Hugo Scheu und vor allem der verarmte Landadel, die eine zentrale Rolle bei der Bewahrung der litauischen Sprache und der Neugründung des Litauischen Staats im 19. Jahrhundert spielten. Die Gutsherren in Kleinlitauen waren ausschließlich protestantisch, während die Gutsherren in Samogitien ausschließlich katholisch waren. Das Gut Rietavas war in den späten 1800er Jahren ein wichtiges Zentrum für Innovationen. 1882 wurde hier das erste Telefonnetz Litauens eingerichtet, und am 17. April 1892, zu Ostern, wurde im Gutshof, im Park und in der Kirche von Rietavas die erste elektrische Straßenbeleuchtung in Betrieb genommen (früher als in den Städten Vilnius, Kaunas oder Klaipeda). Die schönsten Gebäude Litauens haben Jahrhunderte, Kämpfe und Kriege überstanden. Sie erlebten Zeiten des Ruhmes und des Elends und waren Zeugen von Geschichten und Ereignissen, ohne die es die litauische Kultur und Litauen so nicht geben würde.
Die Großherzöge Litauens bauten ihre Paläste, Schlösser und Herrenhäuser bereits im 13. Jahrhundert. Die älteste erhaltene Residenz eines Herrschers ist die Burg Trakai, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Es gibt mehrere Wohnsitze im Renaissance- und Barockstil und eine größere Anzahl klassizistischer Gutshöfe. Es gibt aber auch viele verlorene Orte, vor allem in der Region Westlitauen. Im Regionalpark von Rambynas können Besucher Spuren von Ruinen und ehemaligen Gutshöfen finden. Lesen Sie in unserem Geschichten-Blog über das Buch „Paradiesstraße“ – die Biografie von Lene Grigoleit, die als Bauernmädchen in dieser Region den Aufschwung und den Verfall eines preußischen Gutshofes miterlebte.
Unberührte Natur
Ein besonderes Erlebnis bei einem Besuch im Regionalpark Rambynas , ist die Weißstorchkolonie in Bitėnai. In den Kiefern am Ufer des Nemunas bauen die Weißstörche ihre zahlreichen Nester und brüten ihre Jungen aus.