Liebe Christina Piper,...

Schloss Christinehof in Skåne

Text von Annika Kiehn, November 2021

Starke Frauen begeistern mich, seit ich denken kann. Ich habe eine unerklärliche Obsession mit der französischen Königin Marie Antoinette oder mit Elisabeth von Österreich, „Sissy“, beides Frauen, die nicht in ihre Zeit passten und dabei jede für sich revolutionäres Potenzial in sich trugen.  Geistreiche Autorinnen wie Jane Austen, Virginia Woolf oder Margaret Atwood ziehen mich ihren Gedanken in ihren Bann. Das Magazin „The Gentlewoman“  aus England zählt zu meinen liebsten Medien, die ich regelmäßig lese, denn es führt mich an inspirierende Frauen heran, die jede auf ihre eigene Art und Weise einen Unterschied in dieser Welt machen wollen. Kürzlich sah ich auf Netflix eine Miniserie über die erste schwarze Selfmade-Millionärin Amerikas und während ich mich daran mache, diesen Beitrag hier zu verfassen über eine schwedische Powerfrau, denke ich: Wäre es nicht gut, viel öfter etwas über Pionierinnen aus der Vergangenheit zu lesen?  Dank unserer schwedischen Partner vom Schloss  Christinehof in Skåne habe ich von Christina Piper erfahren, eine der einflussreichsten Geschäftsfrauen des 18. Jahrhunderts, die mit ihrem kühnen Geist und Wagemut erstaunliches hervorgebracht hat.

Liebe Christina Piper,...

Kurz bevor die Welt plötzlich Kopf stand aufgrund der Corona-Pandemie, hatte ich die Gelegenheit, Schloss Christinehof und seine enthusiastischen Betreiber kennenzulernen. Ich schätze, Du wärst ziemlich zufrieden zu sehen, in welch gutem Zustand sich Deine ehemalige Residenz befindet. Oder besser gesagt: Wieder befindet. Dafür, dass Dein Haus schon 280 Jahre durchhält ohne Deine Obhut, ist es doch bemerkenswert zu sehen, wie gut es von den jetzigen Zeitgenossen instand gehalten wird.

„Christinas Wänners“, so nennen sich Deine Freunde, pflegen schon seit einigen Jahren Dein Kulturerbe als kulturelle Vereinigung und Du kannst Dir sicher sein: Dein Schloss Christinehof könnte kaum in besseren Händen sein als bei ihnen.

Ich war ehrlich gesagt erstaunt zu erfahren, in welch hohem Alter Du Dich entschlossen hast, es bauen zu lassen. Du hattest ja mit Schloss Krageholm und Schloss Sturefors ziemlich repräsentative Häuser Deiner Familie geerbt. Und schließlich hattest Du schon 68 Jahre auf dem Buckel, als der Bau an Christinehof fertiggestellt werden konnte. Es heißt, Du wolltest Deine geschäftlichen Angelegenheiten von dort aus besser verwalten können und dieser Fakt beweist Deinen unablässigen Eifer, den ich grandios finde.

Ich schätze, etliche Leute in Deinem nahen Umfeld standen diesem Unterfangen ein wenig skeptisch gegenüber, aber ich finde es großartig, sich in dieser Phase seines Lebens noch an so ein Mammutprojekt zu wagen. Ich kenne ein älteres Ehepaar aus Berlin, dass in dem kleinen Dorf Wrodow ein Gutshaus kaufte, als sie beide kurz vor ihrem 60. Geburtstag standen. Das Gutshaus befand sich zu dem Zeitpunkt in keinem guten Zustand, doch mit Hilfe von Freunden meisterten sie den Restaurierungsprozess. Sie haben es geschafft, das Haus als lebendiges Gesamtkunstwerk zu etablieren, das immer wieder von der Energie ihrer Mitmenschen befeuert wird.

Sie sind inzwischen fast Mitte 80, aber nach wie vor voller Elan und visionärer Gedanken, dass ich jedes Mal in die Knie gehen könnte vor so viel Dynamik, die ich bei manchen meiner Zeitgenossen arg vermisse. Ich bewundere jeden, der bis zum letzten Atemzug seinem Schaffen nachgeht. Diese durch und durch umtriebige Natur ist mir die liebste. Ich schätze, es gibt nur diese zwei Sorten Menschen auf dem Planeten: die einen sind ein Schweizer Uhrwerk und die anderen wie eine Sanduhr. Und Du Christina, gehörst definitiv zu der erstgenannten Kategorie angesichts Deines unglaublichen Erfolgs.

Von der einst wohlbehüteten Tochter und Ehefrau bist Du zu einer selbstsicheren Geschäftsfrau geworden, die viele starke Nachfahrinnen hervorgebracht hat.

Ungeachtet Deiner persönlichen – der Verlust von Kindern und Deines Mannes mit gerade mal 43 Jahren und seinem Schutz –  ist es Dir gelungen, Dich aus Dir selbst heraus zu emanzipieren. Von der einst wohlbehüteten Tochter und Ehefrau bist Du zu einer selbstsicheren Geschäftsfrau geworden, die viele starke Nachfahrinnen hervorgebracht hat. Deine Aussagesituation war sicher nicht die schlechteste, als Tochter eines Kaufmanns und Stadtvertreters Olof Hansen Törne und seiner Frau Margareta Andersen. Der Fakt, dass Du mit 17 Jahren an einen der besten Freunde Deines Vaters verheiratet wurdest, stößt dabei zunächst unangenehm auf. Immerhin war Dein Ehemann Carl Piper 26 Jahre älter als Du.

Ehrlich gesagt, eine unangenehme Vorstellung und aus heutiger Sicht geradezu ein Verbrechen. Zum Glück haben sich Deine Wänners ordentlich durch die Archive gewühlt und Briefe gefunden, die belegen, dass Carl Piper, ein angesehener Offizier, offenbar ein ehrbarer Mann gewesen war und ihr trotz des Altersunterschieds sehr glücklich miteinander gewesen seid. Vielleicht auch ein Grund, dass er Dich bis zu seinem Tod in Deinen Grundfesten verankert hat und Du noch lange davon zehren solltest.

Sicher hat Dir die Landschaft und Dein Schaffen geholfen, Deinen Kummer zu vergessen

Auch wenn Du ihn sehr geliebt haben magst, so war es doch sein Tod, der Deine Karriere befeuert hat.
Es heißt: Man kann nicht alles haben. Vielleicht hattest Du alles, nur nicht zur selben Zeit.  Immerhin hattest Du 26 Jahre lang einen treuen Gefährten an Deiner Seite, bis das Schicksal Dir einen anderen Weg gab. Ich kann nur erahnen, wie sich das für Dich angefühlt haben mag, als er fortging und nicht wiederkam, als Kriegsgefangener von Poltawa 1709 und später überführt nach Russland, wo er 1716 starb.

Und plötzlich warst Du Dir selbst überlassen, mit drei Kindern und einem Baby. Die Dinge verschlimmerten sich für Dich, als Dein Mann am Hofe in Ungnade fiel, verantwortlich zu sein für den Krieg, der Schweden eher ins Unglück gestürzt, als dass er es vorangebracht hatte. Und so war auch Dein Stand in der Gesellschaft deutlich angeschlagen und Du tatest das einzig Sinnhafte, was Dir übrig blieb: Du bist aufs Land geflohen, wo Du ein neues Kapitel in Deinem Leben beginnen konntest: eins von persönlichem und geschäftlichen Wachstum. Sicher hat Dir die Landschaft und Dein Schaffen geholfen, Deinen Kummer zu vergessen. Und haben Deine Gedanken an ihn Dich bestärkt und Dir geholfen, Deine zeitweilig schwierige Situation zu überwinden und neuen Mut zu entwickeln für Dein weiteres Leben.

Hättest Du selbst gedacht, dass Du Geschäftsfrau werden würdest? War es die Ehe Deiner Eltern, die Deine Weltansicht geprägt haben? Es heißt, beide sind ihrem eigenen Tun nachgegangen und womöglich hat es Dir gezeigt, wie unglaublich befriedigend es sein kann, wenn man konstant seinem Schaffen nachgeht?

Historische Quellen belegen, dass Deine Eltern beide sehr gleichwertig miteinander umgegangen sind. Und auch scheint es ungewöhnlich für diese Zeit, dass Dein Vater ihr erlaubt hat, einer Beschäftigung nachzugehen und nicht nur mit Bridge und Gartenarbeit ihr Leben zu verdingen.

Kann aber auch sein, dass der Schlüssel Deines Erfolgs in Deiner Großmutter zu finden ist, in Sara Nyma, die in der schwedischen Provinz Dalarna aufgewachsen war. In dieser Region Schwedens dominierte lange eine Art Matriarchat, in dem die Erbfolge auf die Frauenlinie ausgelegt war. Kaum zu glauben, dass schon damals solch feministische Züge im Norden Europas zu finden waren. Und darf man den Quellen glauben, ist es durchaus möglich, dass Du den starken Willen Deiner Großmutter geerbt hat, die ebenfalls als Tochter eines Händlers mit der langen Tradition des Handelns in Eurer Familie vertraut war.

In dieser Region Schwedens dominierte lange eine Art Matriarchat, in dem die Erbfolge auf die Frauenlinie ausgelegt war.

Deine Mutter Margareta wiederum muss ebenfalls einen ausgeprägten Geschäftssinn gehabt haben.

Es heißt, dass sie um 1700 herum eigenständig das Gutshaus Nynäs gård, in der Nähe von Nynäshamn gekauft hat, nachdem sie bereits zwei Gutshäuser besaß in Djursnäs und Berga. So gesehen war auch sie ein wertvolles Vorbild für Dich, für eine Frau, die nach eigenem Ermessen lebte und nicht nur eines Mannes hübsch anzusehendes Anhängsel darstellte. Und darin zeigt sich, dass in Eurer Familie bereits früh das Prinzip der Ebenbürtigkeit gelebt wurde, ein Ideal, das wir in der Moderne immer noch nicht ganz zu unserer Zufriedenheit erreicht haben.

Als Selbstständige und Mutter kann ich Deinen Ehrgeiz fühlen. Auch ich musste erst lernen, ein wachsames Auge für mein eigenes Dasein zu entwickeln und mein Handeln langfristig auszurichten. Noch immer übe ich mich darin, meine Entscheidungen wohl überlegt zu treffen. Und ich frage mich: An welchem Punkt, welcher Moment mag Dir die Zuversicht gegeben haben, dass es Zeit ist, etwas zu wagen? Gab es einen Ratgeber, der die Geschicke für Dich mitgelenkt hat und Dich auf diesem unbekannten Terrain sicher hindurchgeführt hat? Am Ende war es eine wesentliche Entscheidung, die Dich da hingebracht hat, wofür ich Dich nun kenne: Die Powerfrau, die unglaubliches gerissen hat.
Ich schätze, es war in Deinen Genen und es ist auch Deinen Eltern zu verdanken, dass Du mehr mit Deinem Leben vorgehabt hast, als Mutter und Ehefrau zu sein. Als Frau musstest Du sicher gegen eine Menge Vorurteile ankämpfen und ich kann Dir sagen: Noch immer wirst Du als Frau in Deinem Tun viel kritischer beäugt, als ein Mann.

In Stockholm warst Du nach dem Tod Deines Mannes plötzlich eine Persona non grata.

In Skåne wurdest Du die größte Händlerin von Aluminium.
Wie bei jeder erfolgreichen Geschäftsfrau warst Du zur rechten Zeit am rechten Ort, in Andrarum in 1725. Darf man den Quellen glauben, schätzten Dich Deine Arbeiter, immerhin 900 an der Zahl, für Dein wohlwollendes Wesen. Du gewährtest Ihnen drei kostenlose Mahlzeiten am Tag, und während der Erntezeit waren es sogar zwei Mahlzeiten mehr. Nicht zu vergessen die Schulen, die Du gebaut hast, die Altersheime, die Krankenhäuser, von denen die Menschen in der näheren Umgebung profitiert haben.

Dein Schloss Christinehof war sicherlich ein Ausnahmevorhaben, als Deine Vision, Dein Projekt, dass Du so erbauen ließest, wie Du es wolltest. Es gibt nicht viele Schlösser, die den Namen ihrer Erbauer tragen. Es wurde das Zentrum Deines erfolgreichen Schaffens und bis heute zeugt es von Deinem Vermächtnis, das außergewöhnlicher nicht sein könnte. Würdest Du Deine Wänners persönlich treffen, Du wärst begeistert, mit welchem Enthusiasmus sie Dein Erbe weitertragen. Nicht nur haben sie sich tief in Deine Geschichte reingefunden, um herauszufinden, wer Du wirklich warst – sie feiern Deine Person, Deinen Einfluss bis heute mit traumhaften Events wie Kuchenpartys und Konzerten und dabei kleiden sie sich in der Mode von damals. Ist das nicht wundervoll, dass so viele Menschen an dem Ort Deinen famosen Geist auch heute noch erleben dürfen?
Deine Wänners sind voller Tatendrang, allen voran die Journalistin Mia Gröndahl, als Vorsitzende der Kulturvereinigung Christinas Wänner. Sie erzählte mir, dass Dein Schloss ziemlich leer war, als sie begannen, Deine Geschichte neu aufzurollen. Kaum jemand wusste etwas über deine Errungenschaften – gut, dass Mia so gern recherchiert. Sie und die anderen wühlten sich durch Tagebücher und Briefe, durch Akten, bis sie das Ausmaß Deines Schaffens einigermaßen erfasst hatten. Nun tragen sie es in die Welt unter dem Titel, den sie Dir gegeben haben: Die ungekrönte Königin von Skåne. Selbst die Schicksale Deiner Enkelinnen war ihnen eine eigene Ausstellung wert: Die Rebel Girls. Ist es nicht wundervoll, dass sie Dein Feuer noch Generationen weitertragen? Ob nun in Deinen direkten Nachkommen oder normalen Menschen, die schlicht und einfach besessen sind von Deiner Energie, die so viel Gutes in diesem Landstrich hinterlassen hat. Und die Geschichte ist längst nicht auserzählt, wie Mia mir verriet: „Wir wissen immer noch nicht voll und ganz, wer Christina eigentlich war – aber wir werden es herausfinden!“

Christians Vänner - ein Besuch im Schloss lohnt sich

Das Schloss Christinehof ist circa von Mai bis Oktober geöffnet.

Es gibt geführte Touren (auch auf Englisch), wechselnde Ausstellungen, Konzerte und Events. Mehr Informationen, auch Eintrittspreisen und Öffnungszeiten, finden Sie auf der Webseite.

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