Das Leben feiern in einer charmanten Ruine

Herrenhaus Vogelsang in Mecklenburg

Lebensweisheiten des Gutshausretters Robert Uhde

Annika Kiehn, Februar 2020

Denkmalbehörden ist es am liebsten, wenn Gutshaus-Retter viel Geld mitbringen, damit es zügig mit der Sanierung vorangeht. Als der Rostocker Robert Uhde die Gutshaus-Ruine Vogelsang bei Teterow 2010 kaufte, hatte sie bereits den Status „verfallen“. Doch die Liebe ließ ihn kämpfen: gegen den Hausschwamm, wild gewachsene Bäume und eindringendes Regenwasser. Mittlerweile herrscht der Charme des Unfertigen. Wenn von kaputt gesprochen wird, ist auch wirklich kaputt gemeint und kein inszenierter Shabby Chic. Mancher würde sicher Ja antworten auf die Frage: Wäre es nicht besser, es so zu lassen wie es ist? Spätestens wenn Hängebauchschwein Lola schwanzwedelnd durch die großen Räume spaziert, ahnt man, dass auf Vogelsang alles ein bisschen anders ist.
Robert, was hat Dich zu zum Thema Gutshäuser geführt?

Alte Häuser haben mich schon immer fasziniert. In Rostock habe ich kurz nach der Wende die alte Gerberei saniert. Selbst während meiner Studienzeiten in Berlin, bin ich regelmäßig zurück nach Mecklenburg gefahren, um unbewohnte Gutshäuser aufzusuchen – übers Land zu fahren und meine Heimat zu spüren, das war schön. Quasi zeitgleich habe ich mit meiner Kommunikations-Agentur erste Veranstaltungskonzepte entwickelt, wie die lange Nacht der Wissenschaften in Rostock. Etwas Ähnliches wollte ich auch für Gutshäuser auf die Beine stellen. Ich dachte: Hey, Kulturerbe! Gutshäuser! Dorf! Da muss doch was gehen in der Pampa. Dass ich irgendwann selbst ein Gutshaus haben werde, war mir zwar so nicht klar, aber unterbewusst habe ich den Wunsch schon immer gehegt.

Ich erinnere mich gut, dass mich Vogelsang im ersten Moment nicht angesprochen hat

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es laut Schätzungen mehr als 2000 Gutshäuser und Herrenhäuser. Warum hast Du Dir Vogelsang ausgesucht?

Ich schätze, die Frage zielt darauf ab, wieso ich die Lust verspürte, mich an diesem großen, maroden Brocken zu verschlucken? Das kam aufgrund mehrerer, vielversprechender Komponenten zustande: Mein Gutshaus-Festival, die Mittsommerremise, lief damals gut an und ich suchte die Nähe zur Parkland-Gemeinschaft, die auf dem Gebiet Gutshaus-Tourismus bereits erste Formate entwickelt hatte. Ich erinnere mich gut, dass mich Vogelsang im ersten Moment nicht angesprochen hat. Es war unglaublich kaputt und von der Straße nicht zugänglich. Als Pferdefreunde haben meine damalige Partnerin und ich uns dann doch für dieses Anwesen mit dem großen Marstall und seinen Koppeln entschieden. Meine Mutter hatte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Teterow ein neues Zuhause gefunden, weshalb ich mich dieser Gegend auch emotional verbunden fühle.

Ich habe mir damals dieses Schloss mit einer Frau gekauft, die kurze Zeit später auf einem Selbstfindungstrip war

Was war das Unvorhersehbarste, das Dir bisher mit dem Haus passiert ist?

Also: Ich habe mir damals dieses Schloss mit einer Frau gekauft, die kurze Zeit später auf einem Selbstfindungstrip war und zu mir meinte, ich könne fortan mit dem Schloss machen, was ich will. Sie möchte damit nichts mehr zu tun habe. Da sie aber mit im Grundbuch stand und ich gerade erst 300 000 Euro in die Restaurierung gesteckt hatte, war es kompliziert, das Ganze auseinander zu „klamüsern“ (Anmerkung: Norddeutsches Verb für teilen, machen, bearbeiten). Ich musste ihr das Haus zu dem neuen Marktwert abkaufen, den zuvor ein Gutachter festgelegt hatte, der mich zusätzlich ein paar Tausend Euro gekostet hat. Zuzüglich der Grundsteuer, kam ich auf einen Preis, bei dem Dir niemand mehr Steuerhinterziehung vorwirft. Und dann war ich pleite. Ich habe vielfach beobachtet, dass nur wenige Beziehungen so ein Gutshaus-Projekt überstehen. Die meisten Häuser verlangen so viel Aufmerksamkeit von ihren Besitzern, da kann es schnell passieren, dass einer der Partner dann nicht mehr will oder das Schicksal dazwischenfunkt. So ein Haus ist wie ein Kind, aber wenn Du es noch nebenher als Nest für Dich ausbaust, ist das ‘ne harte Nummer.

Das Haus hat trotz seines miserablen Zustands schnell Früchte getragen

Kamen Dir je Zweifel, ob das eine gute Entscheidung war?

Zu dem Zeitpunkt des Kaufs haben alle in meinem Umfeld gesagt, dass ich ‘nen Schuss habe. Obwohl sie wussten, dass ich als Bauherr bereits Erfahrungen hatte und alles, was ich bis dato angefasst hatte, auch geklappt hat. Wenn ich etwas starte, habe ich einen Masterplan: Was muss ich not-sanieren, wie finde ich den Kontakt zum Dorf. Die Phase haben wir gut gemeistert, trotz der überschaubaren Ressourcen, die wir hatten.
Das Haus hat trotz seines miserablen Zustands schnell Früchte getragen. Die Probleme der vergangenen Jahre waren sehr vielschichtig, aber ich nie auch nur gedacht, dass ich es nicht mehr haben möchte. Isa und ich sind Knecht und Magd dieses Hauses. Einerseits verstehe ich es durchaus als Last, andererseits fing es nach drei, vier intensiven Arbeitsjahren an, uns sehr viel zurückzugeben. Wir feiern hier schöne Feste, sind in der Sommersaison ausgelastet. Wir halten uns ganz gut.

Welches Bauvorhaben würdest Du gern rückgängig machen?
Den Neubau der Terrasse hinten zum Garten. Die Baufirma hat das Gefälle nicht berücksichtigt und wenn es regnet, läuft das Wasser nun auch in den Keller hinein. Leider ist die Firma ist jetzt insolvent, weshalb wir keine Schadenansprüche machen konnten.

Kannst Du Dir ein Leben ohne Gutshaus vorstellen?
Keine Ahnung. Die steigende öffentliche Wahrnehmung von Baukulturerbe treibt mich an. Gutshäuser bieten ein enormes Entwicklungspotential für unseren ländlichen Raum, deshalb bin ich auch so dran an dem Thema. Mehr als 30 Jahre nach ihrer historischen Enthauptung (gemeint ist die Trennung der Häuser von den Ländereien, die als Einkommensquelle dienten) nehmen die Häuser eine ganz neue Rolle ein. Sie sind nicht mehr das Zentrum eines Agrarbetriebs, sondern werden von urban geprägten, modernen Menschen in den unterschiedlichsten Weisen genutzt. Aus meiner Sicht können die Häuser Antworten geben auf essenzielle Fragen, die so noch niemand gestellt hat, zum Beispiel zum demografischen Wandel, der Neuen Ländlichkeit und die Entwicklung von Gesellschaft, die ein naturnahes Leben anstrebt. Kurz gesagt: Mein Leben wäre um einiges langweiliger. Es wäre wesentlich weniger inspirierend, und das Haus tut mir ja nicht weh.

Gutshäuser bieten ein enormes Entwicklungspotential für unseren ländlichen Raum, deshalb bin ich auch so dran an dem Thema.

Wie hast Du Dich in all den Jahren verändert?
Ich bin rationaler geworden. Das Haus bieten wenig Erholung, die Arbeit springt einen hier von allen Seiten an. Ich hoffe, dass es irgendwann besser wird. Aber wir haben tolle Begegnungen mit spannenden Menschen und ihren Ideen und Projekten, die sie hier in Vogelsang mit uns realisieren wollen. In solchen Momenten werde ich durchaus auch mal euphorisch, aber es ist eben noch eine Menge zu tun.

„Gutshäuser sind so ein Entdeckerding, als wenn Du den Nordpol suchst – es war ziemlich lange Niemandsland und es ist immer noch nicht stabil.“ ROBERT UHDE

Glaubst Du, dass Du je ankommen wirst?
Ich hoffe, dass noch viele Generationen mit dem Haus weiterarbeiten werden. Ich entwickle gern Projekte, aber wenn etwas fertig ist, kann ich es auch abgeben. Von daher sage ich in diesem Fall gern: Mein Herrenhaus wird nie fertig und das ist gut so, denn ich möchte es nie wieder abgeben.

Herrenhaus Vogelsang: die Hochzeitslocation

Herrenhaus Vogelsang – Zeit der Neuen Romantik: Eventlocation, Haus für Hochzeiten, Festivals und besondere Film- /Foto-Aufnahmen

 

MittsommerRemise – das Festival der Gutshäuser

Jedes Jahr Mitte / Ende Juni – zur Zeit der Sommersonnenwende – öffnen rund 70 Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern ihre Türen und Tore für Besucher, Sie sind herzlich eingeladen, die Individualität des Kulturerbes Gutshäuser in dieser Region Deutschlands zu erkunden. Erleben Sie Ruinen, schmucke Hotels oder privat genutzte Häuser. Schnuppern Sie den Geist der Vergangenheit und der Zukunft gleichermaßen, sprechen Sie mit den Eigentümern, lauschen Sie alten Geschichten und neuen Abenteuern.

 

 

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